Politischer Prozess gegen Carsten Härle wegen angeblicher Volksverhetzung, erster Prozesstag

Am 4.6.2019, dem ersten Prozesstag im Gerichtsverfahren gegen Carsten Härle wegen angeblicher Volksverhetzung nach StGB 130, wurde durch seinen Anwalt vorgetragen, dass selbst der Staatsanwalt Pele schriftlich die zentralen Punkte der Anklage, nämlich sämtliche angeblich getätigten Aussagen zu Zyklon-B für  „strafrechtlich nicht zu beanstanden“ sondern als den Tatsachen entsprechend einstufte. Trotzdem wurden diese Nicht-Straftaten zur Begründung für eine Hausdurchsuchung herangezogen sowie zur Anklage und Gerichtsverfahrenseröffnung gebracht.

Eine strafrechtliche Anklage ist für einen unbescholtenen und unschuldigen Bürger eine schwere persönliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche sowie politische Belastung, selbst wenn es später zu einem Freispruch kommt. Grundsätzlich ist eine Anklage von offensichtlichen Nicht-Straftaten ein besonders schwerer Eingriff in die Grundrechte eines jeden Bürgers, so dass der Gesetzgeber einen Missbrauch strafrechtlicher Verfolgung mit den Regelungen zur „Verfolgung Unschuldiger“ im Strafgesetzbuch sogar selbst strafrechtlich sanktioniert.

Der AfD-Fraktionsvorsitzende in Heusenstamm hält die Anklage für unbegründet und politisch motiviert und will daher auch prüfen lassen, inwiefern neben der aus seiner Sicht sehr fragwürdigen Vorgehensweise und haltlosen Argumentation auch juristische Grundsatzfragen und strafrechtliche Aspekte auf staatlicher Seite betroffen sein könnten.

Auch die Tatsache, dass allein aufgrund einer Anzeige mit angeblichen Bildschirmfotos zu angeblichen Aussagen, die jeder problemlos mit einem einfachen Grafikprogramm selbst herstellen oder fälschen kann, das Grundrecht auf „Unverletzlichkeit der Wohnung“ nach Artikel § 13 Grundgesetz quasi außer Kraft gesetzt wird, ist in einem freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat ein äußerst bedenklicher Vorgang, da er extrem einschüchternd wirkt und wie Wohnungseinbrüche oft psychologische Schäden bei den Opfern hinterlässt.

Obwohl sich schon grundsätzlich die Frage stellt, wie mittels einer Hausdurchsuchung angebliche Veröffentlichungen im Internet nachgewiesen werden sollen, da die betroffenen Server, insbesondere die von Facebook, in der Regel gerade nicht in der Wohnung von Beschuldigten stehen, hatte die Hausdurchsuchung auch im Fall Härle laut Ermittlungsergebnis keinerlei Erkenntnisse gebracht. Er hält es daher nicht für ausgeschlossen, dass Hausdurchsuchungen als repressives politisches Mittel sowie zur rechtswidrigen Beschaffung völlig anderer Information eingesetzt werden könnten.

Ein solches Vorgehen rüttelt erheblich an der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit und dem Demokratieprinzip in der Bundesrepublik Deutschland, da dieser Eingriff in die Grundrechte heute leider nicht nur sparsam und bei schweren Verbrechen sondern laut BVerfG immer häufiger rechtswidrig, mit fadenscheinigen Begründungen oder allein aufgrund von politisch unliebsamen Meinungsäußerungen eingesetzt wird.

Ein übertriebener Einsatz solcher Vorgehenswiesen ist langfristig daher sogar geeignet, ebenso wie das Anklagen oder sogar Bestrafen von Nicht-Straftaten, durch Einschüchterung und Angst eine repressive Meinungsdiktatur zu errichten und damit die freiheitlich demokratische Grundordnung, die ohne den Wettstreit der freien Meinungsäußerung undenkbar ist, zu beseitigen. Diese Ordnung ist aber im Grundgesetz festgeschrieben, so dass nach Artikel 20 sogar „alle Deutschen das Recht zum Widerstand“ haben, „gegen jeden der es unternimmt diese Ordnung zu beseitigen“.

Nachdem der Verteidiger aus der Anklagebegründung zitiert hatte, dass der Staatsanwalt selbst die zentralen Punkte der Anklage als „strafrechtlich nicht zu beanstanden“ und „wahre Tatsachen“ einstufte, begannen der Richter Waßmuth und der Oberstaatsanwalt Andreas Kondziela eine Diskussion darüber, ob das Verfahren nicht gegen eine Geldbuße, schnell und einfach für alle Beteiligten beendet werden könne und legten dem Beschuldigten diese Lösung deutlich nahe.

Als der Diplom-Mathematiker dies ablehnte, lenkte der Richter Waßmuth die Diskussion auf den Punkt, wie man jetzt in möglicherweise aufwändigen Verfahren die Täterschaft für die angeblichen Aussagen nachweisen könne, wofür man evtl. diverse Zeugen bis hin zu Herrn Zuckerberg persönlich vorladen müsse (von letzterem nahm er aber später aber wieder Abstand).

Es stellt sich hier die Frage, warum auf dem Nachweis einer Täterschaft herumgeritten wird, wenn man doch viel einfacher klären könnte, ob durch die angeblichen Meinungsäußerungen überhaupt eine Straftat begangen wurde, was der Staatsanwalt ja selbst bereits in weiten Teilen verneint hatte. Für Nicht-Straftaten erübrigt sich der Nachweis einer Täterschaft, so dass dahingehende aufwändige Ermittlungen überflüssig wären.

Diese Vorgehensweise trägt sicherlich gerade nicht zu einer vom Richter befürworteten „schnellen Erledigung“ bei, sondern zieht das Verfahren nach Ansicht des Beschuldigten gerade unnötig und kostenintensiv in die Länge.

Der Oberstaatsanwalt Kondziela hätte zudem laut Zeitungbericht der Frankfurter Rundschau „zähneknirschend“ einer Einstellung mit Geldbuße zugestimmt. Der Beschuldigte Härle fragt sich hier nach dem Grund des Zähneknirschens und warum der Staatsanwalt nicht von sich aus, ohne mit den  Zähnen zu knirschen, einen Freispruch gefordert hat.

Weitere Bemerkungen zur Anklageschrift selbst:

Nach der Einordnung aller angeblichen Äußerungen zum Thema Zyklon-B, als „wahre Tatsachen“ und „strafrechtlich nicht zu beanstanden“, schließt sich eine mehrere Seiten lange extrem spitzfindige Diskussion daüber an, inwiefern durch das die Nationalsozialisten eher abqualifizierende Wort „dämlich“ doch noch irgendwie der Straftatbestand der Volksverhetzung, insbesondere einer möglichen Störung des öffentlichen Friedens, verwirklicht sein soll.

Die Erosion der Gerechtigkeit, des Rechtsstaats und der Qualität der öffentlichen Diskussion zeigt sich hier in wieder besonderem Maße, wo jetzt heutzutage also anscheinend sowohl „Nazis waren schlau und intelligent“ als auch das Gegenteil „Nazis waren dämlich“ als „Volkverhetzung“ verbotene Meinungsäußerungen darstellen sollen.

Das Zeitalter der Beliebigkeit und des Postfaktischen hält inzwischen in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens inkl. der politischen und gesellschaftlichen Diskussion sowie der Rechtsprechung zunehmend Einzug, was schon selbst als Gefährdung der freiheitlich, demokratischen Grundordnung anzusehen ist. Denn was ist schon wahr und richtig, wenn im Grunde jede Aussage wahr und falsch, gut und böse, erlaubt oder verboten sein kann oder man einfach gar nicht mehr weiß, was verboten und was erlaubt ist oder was man überhaupt noch sagen darf?

Es sei darauf hingewiesen, dass das Unter-Strafe-Stellen von Meinungsäußerungen schon an sich auf einzigartige und schwerwiegende Weise nicht nur in die Grundrechte laut Grundgesetz sondern sogar in die UN-Menschenrechte eingreift. Der Der UN-Menschenrechtsausschuss hat sich 2011 in Absatz 49 CCPR/C/GC/34 dazu wörtlich wie folgt geäußert:

«Gesetze, welche den Ausdruck von Meinungen zu historischen Fakten unter Strafe stellen, sind unvereinbar mit den Verpflichtungen, welche die Konvention den Unterzeichnerstaaten hinsichtlich der Respektierung der Meinungs- und Meinungsäusserungsfreiheit auferlegt. Die Konvention erlaubt kein allgemeines Verbot des Ausdrucks einer irrtümlichen Meinung oder einer unrichtigen Interpretation vergangener Geschehnisse.» (Absatz 49, CCPR/C/GC/34)

https://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf

Das Thema Meinungsfreiheit liegt Härle besonders am Herzen, da sie die Grundlage der Demokratie ist und er fordert daher eine Abschaffung des Demokratie- und freiheitsfeindlichen Paragraphen StGB 130. Auch der frühere Innenminister Otto Schily und der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht Wolfgang Hoffmann-Riem hatten sich schon für die Überprüfung bzw. Abschaffung des StGB 130 ausgesprochen, da durch die Strafbarkeit gerade nicht das Rechtsgut geschützt werde, das geschützt werden soll – nämlich die Menschenwürde.

Siehe dazu auch das Interview Härles vom 19.11.2018 mit dem HR

Zur Lücken- / Lügenpresse:

Abschließend sei noch auf die wie immer nicht neutrale oder gar vollständige Berichterstattung der Medien Frankfurter Rundschau und Offenbach-Post hingewiesen, in der sie dem Wort „Lückenpresse“ wieder einmal alle Ehre machen, da sie die hier beschriebenen Tatsachen der Anklage von Nicht-Straftaten vollständig verschwiegen haben.

Bei beiden passt zudem wieder einmal zusätzlich auch der Begriff „Lügenpresse“, denn die in der OP aufgestellte Behauptung „Es ist nicht das erste Verfahren ähnlicher Art gegen Härle. Bislang hatte es aber nie für eine Verurteilung gereicht.“, ist falsch. In Wahrheit hat es noch nie ein strafrechtliches Gerichtsverfahren gegen Carsten Härle gegeben, womit es natürlich schon gar keine Diskussion darüber gegeben haben kann „ob es für eine Verurteilung gereicht“ hat oder nicht.

Weiterhin ist die in der FR aufgestellte Behauptung falsch, der Beschuldigte oder der Richter hätten jemals gesagt „da hätte man so einen Aufwand nicht betreiben müssen“. Härle wird gegen diese Falschbehauptungen vorgehen.

ZITAT AUS DER ANKLAGESCHRIFT:

Anklageschrift

[…]

Der Angeschuldigte stellte im Zeitraum 29.5.2017 6 Uhr bis 30.05.2017 20 Uhr auf seiner jedem Nutzer zugänglichen Webseite in einer Diskussion mit einem Nutzer „Dieter Füssenich“ um die Nutzung von Giftgas „Zyklon B“ in Deutschkabinen der deutschen Konzentrationslager die Kommentare (Fehler übernommen) ein: „Duschkabinen mit Gas aus Duschköpfen hat es ohnehin nie gegeben sondern waren von Anfang an pure erfundene Greuelpropaganda, von der selbst die Propagandisten nach dem Krieg sehr schnell abgerückt sind. Wäre auch nicht so einfach gewesen, das Granulat durch die Dusche zu drücken…“ und „Man muss sicherlich sagen, dass die Nazis sich im Töten einigermaßen dämlich angestellt haben…“. Mit diesen Beitrag bagatellisierte der Beschuldigte den Massenord an den Juden während der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland als anerkannte offenkundige geschichtliche Tatsache, was er bei der Einstellung seiner Kommentare, die – wie er wusste- vom Zeitpunkt ihrer Einstellung an von jedem Nutzer zur Kenntnis genommen werden konnte, zumindest in Kauf.

[…]

Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen

[…]

Ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs vom 30.06.2017 liegen für den Angeschuldigten keine strafrechtlich relevanten Vorbelastungen vor.

[…]

Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die erste Äußerung des Angeschuldigten (Fehler übernommen): „Duschkabinen mit Gas aus den Duschköpfen hat es ohnehin nie gegeben, sondern waren von Anfang an pure erfundenen Greuelpropaganda…“ für sich genommen als im Wesentlichen die Wiedergabe einer wahren Tatsache keinen der Tatbestände des § StGB 130 erfüllt. Denn nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung ist in der Tat davon auszugehen, dass Giftgas in keinem der Konzentrations- und Vernichtungslager des Dritten Reiches unmittelbar durch in den Gaskammern angebrachte Duschvorrichtungen selbst eingeleitet wurde. Auch die weiteren Ausführungen zu „Zyklon B“ und seiner Art seiner „Verwendung“ sind strafrechtlich nicht zu beanstanden.

NACHTRAG 14.6.2019: Die OP hat zwar meine Aufforderung auf Gegendarstellung anwaltlich abgelehnt aber in der Online-Ausgabe den Text korrigiert. Dort steht jetzt:

„In einer früheren Fassung stand an dieser Stelle eine missverständliche Textversion. Wir stellen deshalb klar: Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Darmstadt hat es bis auf das hier beschriebene strafrechtliche Gerichtsverfahren keine weitere Anklage gegen Carsten Härle gegeben.“

Es fehlt also noch die korrekte Darstellung in der Printausgabe.

3 Gedanken zu „Politischer Prozess gegen Carsten Härle wegen angeblicher Volksverhetzung, erster Prozesstag“

  1. Sagenhafter Bericht zu wiederum juristischen Verrenkungen wie sie seitens der BRD ständig angewendet werden müssen um §130 überhaupt anwenden zu können, z. B. „Offenkundigkeit“.

    Ein Unrechtsparagraph in einem Unrechtstaat von Anfang an.

    Shlomo Kanalgeruch

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